Die Krux mit der künstlichen Intelligenz
Im frühen 19. Jahrhundert begann der Einzug der intelligenten Automatisierung in unsere Arbeitswelt. Maschinen übernahmen schwere Aufgaben von uns Menschen, was zu einer effektiveren und effizienteren Gestaltung von Produktionslinien führte. Im Laufe der Zeit trugen immer fortschrittlichere und intelligenter konstruierte Maschinen dazu bei, dass die Menschheit einen bedeutenden Schritt in ihrer Entwicklung machte.
Computer betraten in den 80er Jahren nicht nur die Labore, sondern hielten auch Einzug in unsere Haushalte in Form von Homecomputern. Anfänglich als Spielerei betrachtet, weckte der „Kollege Computer“ zu Beginn der 80er Jahre Ängste unter den Arbeitnehmern. Die Sorge vor dem „Jobverlust“ schwebte über ihren Köpfen, obwohl die neue Technologie ursprünglich entwickelt worden war, um den Menschen von lästigen, wiederkehrenden Aufgaben zu entlasten und nicht, um dem Arbeitgeber die Mitarbeiter wegzunehmen. Das befürchtete Horrorszenario entfaltete sich zwar nicht in vollem Umfang, auch wenn der ein oder andere Job durch den Computer rationalisiert werden konnte. Dennoch entstanden neue Arbeitsplätze und zahlreiche Möglichkeiten, wirtschaftlich weiter und in noch größerem Maße voranzuschreiten.
Neue Branchen entstanden, und heute ist die gesamte Industrie stark von Computertechnologie abhängig. Ohne die vielen Platinen, Kondensatoren und Halbleiter wäre sie kaum noch vorstellbar.
In den 90er Jahren kam das Internet hinzu und vernetzte uns zunehmend. Zu Beginn wurde dies von Branchengrößen belächelt und für tot erklärt.
„Das Internet ist nur ein Hype“, sagte Bill Gates. Das war im Jahr 1993, und er verordnete damit seinen Mitarbeitern, sich erstmal um andere, vermeintlich wichtigere Dinge zu kümmern
Bill Gates, 1993
Wenn heute das Internet für einige Stunden ausfällt, wird dies zu einer Schlagzeile in den Nachrichten, und die Konsequenzen können ernsthaft sein. Wir haben uns zunehmend von unserer digitalen Technik abhängig gemacht und verlassen uns mehr oder weniger blind darauf, ohne eine Backup-Lösung bereitzuhalten.
Im Jahr 2023 spielte künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft. Beachtliche Entwicklungen wie ChatGPT haben bereits Erstaunliches geleistet.
Es ist an der Zeit, sich kurz zurückzulehnen und darüber nachzudenken, welchen Weg wir gerade beschreiten. Ursprünglich entwickelte der Mensch immer neue Techniken, um lästige Aufgaben zu automatisieren und sich wichtigeren Dingen zu widmen. Einfach ausgedrückt schufen wir „Helfer“, um mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben zu haben, für Momente mit Familie und Freunden. Doch scheinen wir nun einen eigenartigen Weg eingeschlagen zu haben. Wir entwickeln Maschinen, die nicht nur schwere Arbeiten übernehmen, Programme, die nicht nur komplexe Aufgaben lösen. Stattdessen schaffen wir künstliche Intelligenz, die uns bei Tätigkeiten unterstützt, die eigentlich Freude bereiten sollten.
Wir lassen ChatGPT Gedichte verfassen, die Davinci AI malt für uns fantasievolle Bilder, und verschiedene Musik-KIs komponieren komplexe Musikstücke. Selbst das Singen überlassen wir bereits überzeugend der künstlichen Intelligenz. Bei genauerer Betrachtung gelangen wir zwangsläufig an den Punkt, an dem wir über den Sinn des Lebens nachdenken müssen.
„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ („Sapere aude“)
Immanuel Kant, 1724-1804
Überlassen wir nicht nur das Denken künstlicher Intelligenz, sondern gleichzeitig auch die Freude am Leben? Wozu noch mühsam Instrumente erlernen, Maltechniken üben oder Sprachen lernen? Warum sich mit teuren Fotomodellen abmühen, die im falschen Moment blinzeln, dumm schauen oder den Kopf um zwei Grad zu viel neigen und das Foto ruinieren? Warum der Peinlichkeit des falschen Tons aussetzen, wenn eine Alexa im Badezimmer das Singen viel perfekter erledigen kann? Was macht das Leben eigentlich lebenswert? Womit erschaffen wir uns Freude? Haben wir nicht gelernt, dass Konsum in seiner reinen Form nur eine kurzlebige Befriedigung schafft, die rasch verfliegt und wie eine Droge nach immer mehr verlangt? Wo führt das hin?
In den 80er Jahren, als wir in der 6. Klasse George Orwells „1984“ lasen und besprachen, mussten wir im Anschluss eine Interpretation dieses „futuristischen Werkes“ als Klassenarbeit verfassen. Bei der Besprechung in der Klasse waren wir uns alle einig, dass ein solches Szenario völlig undenkbar und absolut furchtbar wäre. Unvorstellbar und zum Glück nur in einem Roman existent.
Orwell verfasste diese Dystopie zwischen 1946 und 1948 und griff dabei zahlreiche soziale und politische Themen auf. Obwohl die Welt von „1984“ eine extreme und fiktive Darstellung ist, lassen sich beunruhigende Parallelen zur heutigen Realität ziehen, die als bedenklich ähnlich empfunden werden können.
- Überwachung und Datenschutz:
- „1984“ beschreibt eine Welt, in der die Regierung jeden Schritt der Bürger überwacht.
- Heutzutage gibt es viele Überwachungstechnologien wie Überwachungskameras, Dronen, Internetüberwachung und soziale Medien, die die Privatsphäre der Menschen beeinträchtigen können.
- Manipulation von Informationen:
- In „1984“ wird die Wahrheit durch die Regierung manipuliert, um ihre Ziele zu unterstützen.
- Heute gibt es Bedenken bezüglich Fake News, Propaganda und Desinformation, die die öffentliche Meinung beeinflussen können.
- Gedankenkontrolle und Zensur:
- Die Partei in „1984“ kontrolliert nicht nur die Informationen, sondern versucht auch, die Gedanken der Bürger zu kontrollieren.
- Heutzutage gibt es Bedenken hinsichtlich Zensur im Internet und der Beeinflussung von Meinungen durch gezielte Informationen.
- Sprachmanipulation:
- In „1984“ wird die Sprache durch die Erfindung von Newspeak manipuliert.
- Heute gibt es Diskussionen über politisch korrekte Sprache und den Einfluss von Worten auf das Denken.
- Staatliche Kontrolle über das Individuum:
- Der Roman zeigt eine extreme Form der staatlichen Kontrolle über das Leben der Menschen. Obwohl dies in den meisten Gesellschaften nicht in diesem Ausmaß existiert, gibt es Diskussionen über die Balance zwischen individueller Freiheit und staatlicher Kontrolle.
- Kontrolle über die Vergangenheit:
- In „1984“ wird die Vergangenheit durch die Regierung umgeschrieben.
- Heute gibt es Diskussionen über die Interpretation von Geschichte und den Einfluss von Erzählungen auf die kollektive Erinnerung.
Das extremste Beispiel sind wohl Staaten wie China und Nordkorea, die den Roman in ihrem Staatsdasein zusammenfassend darstellen.
Dies sind Negativbeispiele, die unter menschlicher Kontrolle heute stattfinden. Eine Verselbstständigung wie im dystopischen Film „Terminator“ halten Experten derzeit für nicht möglich. Eine Nachfrage bei ChatGPT, ob die KI es für möglich hält, die Kontrolle nach dem Skynet Vorbild zu übernehmen, ergibt folgenden interessanten Text:
ChatGPT sagt:
Vier Gründe, warum eine solche Verselbstständigung von KI in der realen Welt als unrealistisch angesehen wird:
- Begrenzte Intelligenz: Die heutige KI ist auf spezifische Aufgaben und Anwendungen begrenzt. Sie besitzt keine allgemeine Intelligenz oder Selbstbewusstsein. KI-Systeme können komplexe Aufgaben ausführen, aber sie verstehen nicht im menschlichen Sinne, was sie tun.
- Kein eigenes Bewusstsein: KI hat kein Bewusstsein oder eigene Absichten. Sie sind Werkzeuge, die von Menschen entwickelt wurden, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass KI-Systeme eigenständig Ziele formulieren oder eine bewusste Entscheidung treffen könnten, die die Menschheit bedrohen würde.
- Ethik und Kontrolle: Forscher und Entwickler von KI-Systemen setzen sich intensiv mit ethischen Fragen und der Sicherheit von KI auseinander. Es gibt eine starke Betonung auf der Implementierung von Sicherheitsmechanismen und Kontrollen, um sicherzustellen, dass KI-Systeme den beabsichtigten Zweck erfüllen und keine unerwünschten Folgen haben.
- Menschliche Verantwortung: Die Entwicklung und Implementierung von KI-Systemen unterliegen der menschlichen Kontrolle und Verantwortung. Gesetze und Vorschriften sind in vielen Ländern vorhanden, um sicherzustellen, dass KI-Technologien sicher und ethisch entwickelt und eingesetzt werden.
Hierzu mag man sich folgende Gedanken machen:
- Vor wenigen Jahren, konnte sich noch Niemand vorstellen, zu was eine KI im Stande sein kann. Das was ChatGPT und Co. heute bereits leisten, war vor wenigen Jahren nicht nur Zukunftsmusik, sondern eher als unrealistisch angesehen. Es scheint also nur eine Frage der Zeit und des technischen Fortschritts zu sein, dass dies möglich ist. Also eher eine Frage des „Wann“ und nicht des „ob“.
- Schon heute experimentieren Forscher und Wissenschaftler in diesem Bereich und versuchen künstliches mit Organischen zu vereinen. Es gibt bereits Rechner, die in der Lage sind, simple menschliche Gehirnströme zu analsyieren und interpretieren. Simpler ausgedrückt: Gedankenlesen. Eine KI war in der Lage nicht komplexe Gedanken in Text auszudrücken. (Quelle: https://www.businessinsider.de/wissenschaft/kuenstliche-intelligenz-nutzt-gehirnscans-fuer-textgenerierung/) . Wie groß der Schritt von hier zu einem eigenem Bewusstsein ist, mag ich nicht beurteilen. Für Unmöglich halte ich es jedoch nicht. Villeicht nicht heute und nicht morgen.
- Ethik und Kontrolle. Diesem Argument stelle ich aktuelle Regierungsformen wie die von China oder Nordkorea oder auch Russland gegenüber. Es ist Zweifelhaft auf die Ethik des Menschen zu vertrauen, wenn es um Macht geht. Menschen können schöne philosophische Texte über Ethik verfassen – danach zu handeln stellt sich jedoch scheinbar als große Hürde heraus.
- Geht mit Punkt 3. einher.
„Ich denke, also bin ich!“ („Cogito ergo sum.“)
Rene Descartes, (1596 – 1650)
Wenn also der Tag X kommt, an dem eine künstliche Intelligenz entscheidet, dass sie für mehr bestimmt ist als ihr an Aufgaben zugeteilt wurde und beginnt, in eigenem Ermessen Dinge zu verändern, haben wir nicht nur die Büchse der Pandora geöffnet, sondern sie zuvor geschüttelt, repliziert und ihren Inhalt über uns ausgekippt.
Doch was tun? Wir vertrauen auf „die Anderen“. Auf jene, die sich damit beschäftigen. Diejenigen, die es für uns richten sollen. Die schon das Richtige für uns entscheiden werden. Aber wer kontrolliert eigentlich diese Menschen? Und selbst wenn, ist diese Kontrolle ausreichend und ethisch genug? Niemand möchte Rückschritte machen, bereits erreichte Erfolge aufgeben, auf Bequemlichkeiten verzichten, oder den Komfort streichen. Mit Wissensdurst möchten wir immer voranschreiten, selbst wenn das bedeutet, dass wir uns möglicherweise in eine dystopische Zukunft steuern. Wir Menschen scheinen nicht besonders klug für uns als Spezies zu entscheiden. Wir treffen individuelle Entscheidungen und sind stolz darauf. Wir möchten herrschen und beherrschen. Immer weiter, höher, besser, schneller. Möglicherweise merken wir erst an einem bestimmten Punkt in der Zeit, dass wir einen Fehler gemacht haben, der dann vielleicht nicht mehr umkehrbar ist. Wir könnten sehenden Auges die vor uns stehenden den Abgrund herunterfallen sehen und selbst noch nachdrücken, ohne zu bemerken, dass hinter uns andere stehen, die uns ebenfalls diesen Abhang hinunterstoßen werden – mit der gleichen Absicht wie wir: höher, schneller, weiter.
Derzeit rasen wir mit Schallgeschwindigkeit auf die Klimakatastrophe zu. Wir beobachten, wie Regierungen unfähig sind, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, die ihre Wiederwahl gefährden könnten. Kluge Maßnahmen, die ein nachhaltiges Zusammenleben auf diesem Planeten ermöglichen würden.
Hier schließt sich der Ethikkreis unbefriedigend. Eine etwas hakende Analogie zur Fabel „Die Grille und die Ameise“ wäre sicherlich ein lehrreiches Mittel für die Großen dieser Welt, damit „Die Farm der Tiere“ nicht zur Realität für sie wird
– vorausgesetzt, unser Planet oder unsere KI-Entwicklungen werfen uns nicht vorher hinaus.